Die erste Bürgerfahrt nach Jekaterinburg fand 1992 statt

Nachdem im Rahmen einer eindrucksvollen Spendenaktion der Wuppertaler Bürger 1991 tonnenweise Hilfsgüter im Werte von etwa einer Viertelmillion D-Mark bis hinter den Ural gebracht und dort verteilt worden waren, schrieb die Wuppertaler Rundschau im Folgejahr die erste Bürgerreise nach Jekaterinburg aus. Die Delegationen, die zuvor die Hilfstransporte begleitet hatten, berichteten immer wieder von der großen Dankbarkeit der Russen und auch von deren Wünschen nach Kontakten zu Bürgern unserer Stadt.

So brachen schließlich elf mutige Teilnehmer am Abend des25. September 1992 zu einer Reise in eine gänzlich unbekannte Stadt auf, denn noch bis kurz vorher war Ausländern der Zutritt zu Swerdlowsk, wie das Reiseziel bis1991 hieß, wegen seiner bedeutenden Rüstungsindustrie verboten gewesen. Da es damals natürlich keine Direktflüge in den Ural gab, begann das Abenteuer am Elberfelder Hauptbahnhof um 22 Uhr mit einer nächtlichen Busfahrt nach Berlin-Schönefeld, wo am nächsten Morgen eine Aeroflot-Maschine um 8.05 Uhr Richtung Moskau abhob. Zur Mittagszeit in Moskau gelandet, empfing die Reisegruppe Dr. Sergej Werschinin aus Jekaterinburg, der mittlerweile längst vertraute, zuverlässige Freund und Partner unseres Freundeskreises. Der siebenstündige Aufenthalt in der russischen Metropole wurde mit Mittagessen und einer Stadtrundfahrt überbrückt, bis der Weiterflug nach Jekaterinburg erfolgte.

Nach der Ankunft weit nach Mitternacht wurden die müden  „Abenteurer“, die allesamt privat untergebracht werden wollten, um so persönliche Kontakte knüpfen zu können, auf die deutsch sprechenden Gastgeber verteilt. Die folgenden fünf Tage waren angefüllt mit einem intensiven und abwechslungsreichen Programm. Eine Fahrt in das Museumsdorf Alapa Jewsk im Ural, verbunden mit dem Besuch eines von insgesamt drei russischen Tschaikowski-Museen, eröffneten den Reigen. In der Stadt selbst galt es, eine Vielzahl von Besichtigungen zu absolvieren, angefangen von der Zarengedenkstätte über das Geologische Museum und dem Edelstein verarbeitenden Betrieb „Ural-Edelstein“ bis hin zum Heimatmuseum, dem Modernen Museum und einer russisch-orthodoxen Kirche. Ein Opernbesuch stand ebenso auf dem Programm wie ein offizieller Empfang der Stadt Jekaterinburg, die sich in Person des Oberbürgermeisters Juri Samarin nochmals ausdrücklich für die große Spendenbereitschaft der Wuppertaler Bürger bedankte. Selbstverständlich fuhr man auch zum Obelisken an der europäisch-asiatischen Grenze, wo eine junge Russin in farbenfroher Landestracht die Wuppertaler traditionell mit Brot und Salz willkommen hieß. Schließlich wurde auch der uns seinerzeit noch völlig unbekannten Schule 37 ein Besuch abgestattet, die den Wuppertaler Russland -Freunden ·inzwischen jedoch längst zu einem festen Begriff geworden ist. Als einzige Schuleinrichtung in Jekaterinburg, die erweiterten Deutschunterricht ab der ersten Kasse anbietet , hatte sie mehreren Gastgebern deren gute Deutschkenntnisse vermittelt. Noch heute besteht aufgrund des längst etablierten Schüleraustauschs intensiver Kontakt zwischen ihr und Wuppertaler Gymnasien.

Parallel zu dem offiziellen  Besuchsprogramm sammelten die Reiseteilnehmer in den Gastfamilien intensive Eindrücke vom russischen Alltag, tauschten Erfahrungen aus und schlossen Freundschaften, die zum Teil noch heute bestehen. Die sprichwörtliche russische Gastfreundschaft wurde eindrucksvoll demonstriert, in dem zum Beispiel das eheliche Doppelbett dem Gast zur Verfügung gestellt wurde, während die Gastgeber selbst irgendwo in der Wohnung auf dem Fußboden ein Schlafplätzchen fanden. Man lernte auch, dass der Besitz eines Autos in Russland ein durchaus nicht selbstverständliches Privileg darstellte, für das manche Mühsal in Kauf zu nehmen war. Die Garage des jungen Ehepaares Sweta und Sascha lag 16 Kilometer von seiner Wohnung entfernt, und wollte es den Wagen benutzen, musste sich Sascha zuvor eine Stunde auf dem Fahrrad abstrampeln, um den Lada zu holen. Das Fahrrad selbst wurde normalerweise – sicher ist sicher – im Schlafzimmer geparkt. Die Versorgung mit Benzin verlief in Ermangelung eines vorhandenen Tankstellennetzes damals ebenfalls anders als in Deutschland. Man kaufte den Kraftstoff zu frei aushandelbaren Preisen Kanister weise irgendwo unterwegs am Rande der Landstraße, wobei es ein offenes Geheimnis war, dass hier Armeebestände einer sinnvollen Nutzung zugeführt wurden. Es würde den Rahmen sprengen, alle positiven Erinnerungen zu schildern.

Am 3. Oktober schließlich trat die Reisegruppe, bis Moskau wiederum von Dr. Sergej Werschin in begleitet und dort offiziell verabschiedet, erschöpft und zugleich auch erfüllt die Heimreise an. Ein überaus eindrucksvolles und erlebnisreiches Reiseabenteuer ging zu Ende, an das sich jeder bis auf den heutigen Tag gern erinnern wird. Die damalige Oberbürgermeisterin der Stadt Wuppertal, Frau Ursula Kraus, ließ es sich nicht nehmen, sechs Wochen später alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ersten Bürgerreise nach Jekaterinburg zu einem kleinen Empfang in das Rathaus Wuppertal-Barmen einzuladen, um sich die vielfältigen Eindrücke und Erfahrungen aus erster Hand schildern zu lassen. (I.L. & A.v.M.)